Der ehemalige Schwimmstar Michael Groß wird von der Stiftung Deutsche Sporthilfe für sein Lebenswerk ausgezeichnet.
Im Interview spricht der 60-Jährige über den gesunkenen Stellenwert des Spitzensports, die deutsche Olympiabewerbung - und Remscheid.
Sie erhalten auf dem Ball des Sports die Goldene Sportpyramide. Welche Bedeutung hat diese Auszeichnung für Sie?
Michael Groß: Eine sehr große, weil damit nicht nur die sportliche Leistung gewürdigt wird, sondern auch, was man neben dem Sport macht. Mein Thema ist die duale Karriere: Ich habe parallel zu meiner Schwimmerei das Abitur gemacht, kein Semester im Studium versäumt, mein Unternehmen gegründet und bin seit zwei Jahren Honorarprofessor an der Goethe-Universität. Für mich persönlich schließt sich ein Kreis, denn meine erste größere Auszeichnung war der Juniorsportler des Jahres 1981 von der Sporthilfe. Die Urkunde hängt seit Jahrzehnten direkt neben dem ersten Olympiasieg. Für die Sportpyramide müssen die anderen Trophäen zusammenrücken.
Was war im Rückblick Ihr größter sportlicher Moment?
Nicht ein Moment, sondern die Zeit 1985/86, als ich ein Jahr lang von zwölf olympischen Disziplinen in vier den Weltrekord gehalten habe. Damals habe ich in Remscheid die Weltrekorde über 200 m Schmetterling und 400 m Freistil erschwommen. Bei deutschen Meisterschaften unter abenteuerlichen Bedingungen - total eng, drückendste Luft, wir wurden am Beckenrand massiert. Es war das erste Mal seit Mark Spitz, und danach hat es erst Michael Phelps wieder geschafft.
Die olympischen Finals haben zusammen nur zehn Minuten Ihrer Lebenszeit ausgemacht. Ist für Sie der Sport der größere Erfolg oder die Karriere danach?
Das sind unterschiedliche Dimensionen. Im Sport ist alles sehr schwarz-weiß. Es gibt keinen Vize-Olympiasieger. Eine Goldmedaille bei Olympia ist das Nonplusultra - mit Weltrekord für einen Schwimmer sowieso. Wenn du Zweiter bist, kriegst du keinen Stern auf der Brust - auch im Fußball nicht. Im normalen Leben, auch im Berufsleben gibt es viel mehr Grauzonen, die auch einen Wert haben. Damit tun sich viele ehemalige Leistungssportler schwer, weil es keinen objektiven Maßstab gibt. Ist dieses Interview jetzt goldmedaillenwürdig? Früher im Sport hat man es für sich selbst gemacht, heute mache ich im Job und an der Uni eigentlich alles, damit andere erfolgreich sind.
Inwiefern haben die Erfahrungen im Sport in der zweiten Karriere geholfen? Ist er noch Teil Ihres Lebens?
Natürlich ist er das. Ich nenne jetzt keine Namen, aber ich war im Herbst mit einem aktuellen Olympiasieger unterwegs, und wer wird angesprochen? Ich. Das ist doch kurios. Bis zu meinem Lebensende wird es so bleiben, dass mich viele als 'Albatros' ansprechen. Wobei ich darauf nicht reagiere, das hat mir meine Frau abgewöhnt, sie sollen mich mit meinem normalen Namen anreden. Im Job hilft das Durchhaltevermögen als Unternehmer oder Führungskraft, solche Fähigkeiten nimmt man aus dem Sport mit.
Warum sind heutige Spitzensportler, abseits des Fußballs, nicht mehr so populär wie Sie in den Achtzigern?
Der entscheidende Unterschied sind nicht die klassischen Medien, sondern die Sozialen Medien. Wie viele Follower hat ein Lukas Märtens auf Instagram? Jede Beauty-Influencerin hat vermutlich mehr als die Sportlerin des Jahres. Man hat als Olympiasieger heutzutage extreme Schwierigkeiten, medial durchzudringen. Auch ein Oliver Zeidler, Sportler des Jahres, ist letztlich 'hero for one day'. Das hat mehr mit der Veränderung der Medienlandschaft zu tun als mit anderen Profisportarten. Früher hatten wir nur zwei TV-Sender, es gab kein Internet, es gab eine Handvoll meinungsführende Medien, zwei Agenturen - und dann nichts. Wenn man da präsent war, kam kein Mensch an einem Michael Groß vorbei - oder an Ulrike Meyfarth, Boris Becker, Steffi Graf.
Macht es das für die aktuellen Athleten schwieriger als für Sie?
Groß: "Von dem ein oder anderen habe ich mitbekommen, dass sich durch den Olympiasieg letztlich nichts geändert hat. Das ist das Höchste im Sport, das wird man nicht durch Murmeln, sondern durch jahrzehntelanges Training. Wenn man in der Fußgängerzone nach einem Olympiasieger von Paris fragen würde, könnten das wohl weniger als 50 Prozent beantworten. Und wahrscheinlich werden Leute genannt, die gar nicht Olympiasieger sind.
Hat der Sport seinen Stellenwert in der Gesellschaft verloren?
In der Spitze ganz klar. Da ist aber auch jede Sportart gefordert, sich etwas einfallen zu lassen. Auch zu meinen Zeiten hatten wir nicht die Chance, jeden Tag in der Zeitung zu stehen. Was wir aber hatten, waren mindestens drei Highlights im Jahr, bei denen wir garantiert maximale Aufmerksamkeit hatten - die internationale Meisterschaft im Sommer, WM, EM oder Olympia, die deutsche Meisterschaft, die immer die Qualifikation war, bei der es um alles oder nichts ging, und die Mannschaftsmeisterschaft im Winter, die immer in der Sportschau kam.
Davon können die Schwimmer heute nur träumen.
Ich habe ihnen gesagt: Es ist extrem schade, dass ihr für eure Leistungen keine Aufmerksamkeit bekommt. Aber ihr versteckt euch auch. Irgendwo wird mal eine Qualifikationszeit geschwommen, nach der Meldung muss man aber schon suchen. So funktioniert das nicht. Wenn bei deutschen Meisterschaften Weltrekorde geschwommen werden, kommen auch die Medien. Es ist ein absolutes Manko im deutschen Schwimmsport, dass der nationale Wettbewerb keinen Wert hat.
Und im Breitensport?
Die gesellschaftliche Akzeptanz in der Breite, das zeigen die Mitgliederzahlen, ist absolut gegeben. Das analoge Erlebnis, das Authentische, Unmittelbare des Sports, ist im digitalen Zeitalter besonders wichtig geworden. Aber in der effektiven Umsetzung gibt es natürlich massive Probleme. Die Möglichkeiten in der Infrastruktur, speziell im Schwimmen, sind ein Desaster.
Würde Olympia in Deutschland helfen?
Nur bedingt. Olympische Spiele sind keine eierlegende Wollmilchsau. Als Impuls wäre es sicherlich wichtig, aber es kann auch sehr schnell ein Strohfeuer werden. Es macht nur Sinn, wenn man parallel für die Sportstätten einen Goldenen Plan wie in den Sechzigern auflegt, damit es wirklich eine nachhaltige Aktivierung ergibt. Olympia alleine wäre damit überfordert.
Sind Sie denn für die Bewerbung?
Es müssen noch viele Hausaufgaben gemacht werden. Man sollte sich tief in die Augen gucken und sagen: Letztlich gibt es nur eine Stadt in Deutschland, die Olympische Spiele durchführen kann - das ist Berlin. Es gibt ein Olympiastadion, die Infrastruktur, die Umgebung, die Nähe zur See, eine große Messe, die innenstadtnah liegt. Wenn die Bürger und die Institutionen in Berlin dazu bereit sind, wird es zu einer nationalen Bewerbung mit der Hauptstadt. Es hängt aber natürlich auch von der Wahl am Sonntag ab, welcher Bundesinnenminister dieses Thema wie spielt. Die Treppe wird von oben gekehrt.