Boxen wird gerne als "Sweet Science" bezeichnet, bei der es darum geht, zu treffen, ohne selbst getroffen zu werden. Hit without being hit . Die größten Kämpfe sind meist aber die, bei denen die Faust-Formel der süßen Wissenschaft keine Rolle spielt. Bei Marvelous Marvin Hagler gegen Thomas Hearns ging es vor 40 Jahren jedenfalls nur um treffen und getroffen werden.
Über das grimmige Gesicht von Marvin Hagler floss Blut. "Kannst du alles richtig sehen?", fragte der Ringarzt und beäugte Haglers Cut auf der Stirn. "Ich verfehl' ihn ja nicht oder?", knurrte der Champ zurück.
Nein, tat er nicht. Augenblicke nach der Inspektion des Docs lag Thomas Hearns, Haglers Herausforderer um die Mittelgewichts-Krone, am Boden – und sah nur noch Sternchen. 15. April 1985, Las Vegas: Hagler vs. Hearns. Ein Kampf, für den der Ausdruck "die Fäuste fliegen" erfunden wurde.
Manchmal muss es wohl einfach sein. Zwei der größten Faustkämpfe des 20. Jahrhunderts wurden im Vorfeld ganz simpel als "The Fight" verkauft. Joe Fraziers 15-Runden-Schlacht gegen Muhammad Ali im New Yorker Madison Square Garden 1971. Und eben "Marvelous" Marvin Haglers epische Prügelei mit Thomas Hearns vor 40 Jahren im Caesar's Palace in Las Vegas.
Dieser Kampf elektrisierte 1985 nicht nur die USA, sondern die ganze Boxwelt. Hagler, damals 30 Jahre alt, seit fünf Jahren unumstrittener Herrscher der 160-Pfund-Klasse, verteidigte seine Krone zum zehnten Mal. Herausforderer Hearns (26) war für das extravagante Stelldichein am Vegas-Strip aus dem Halbmittelgewicht aufgestiegen.
Beide Boxer kassierten weit mehr als fünf Millionen Dollar – seinerzeit eine gewaltige Börse. Um "The Fight" anzuheizen, tingelten Hagler und Hearns monatelang durch die Staaten und tauschten Gehässigkeiten aus.
Wer das Duell sehen wollte, musste ein Ticket für eine von 600 ausgewählten Locations erstehen. Closed Circuit Televsion hieß das damals gängige Geschäftsmodell, das später dem Pay-per-View vor der heimischen Glotze wich. Allein in Haglers Heimat pilgerten Tausende in den Boston Garden, um ihr Idol vor einer Leinwand anzufeuern.
Damit "The Fight" auch ja keiner vergaß, setzten die Promoter den Showdown am Montagabend des "Tax Day" an. Fristgerecht die Steuer einreichen und dann Boxen gucken, hieß das Motto.
Nicht wenige Beobachter trauten Hearns zu, Haglers Regentschaft zu beenden. Schließlich hatte der "Hitman" aus Detroit ein Jahr zuvor die eisenharte Panama-Ikone Roberto Duran mit einer fürchterlichen Rechten in Runde zwei k.o. geschlagen. Hagler dagegen plagte sich 1983 mit Duran über die volle Distanz von 15 Runden. Allerdings wusste man – und das machte den Kampf so faszinierend –, dass auch Hagler wie ein Pferd hauen konnte.
Als im Caesar's Palace am 15.4.85 endlich die Glocke läutete, waren alle boxerischen Strategien schnell über den Haufen geworfen. Der 1,77 Meter große Hagler stürmte – ganz im Stile eines Jake LaMotta – wie ein wilder Stier auf den dürren Hearns (1,85 Meter) zu. Und der Herausforderer ging nicht aus dem Weg.
Nachdem Hagler seinen Rivalen mit Körpertreffern traktiert hatte, schlug Hearns zu. Mit einem linken Haken und einem rechten Uppercut klingelte der Schützling von Emanuel Steward (der später Wladimir Klitschko groß machte) den Titelverteidiger ordentlich an. Hearns langte derart hin, dass er Hagler die Stirn aufschlitzte und sich selbst die rechte Hand brach.
Das Spektakel nahm seinen Lauf. Hagler schüttelte sich kurz und stellte Hearns in der Ringecke. Zeh an Zeh, Nase an Nase, prügelten die Rivalen aufeinander ein – mit allem, was sie hatten.
"Unglaublich. Ein ganzer Kampf komprimiert in drei Minuten", raunte TV-Kommentator Al Michaels, als der Gong zur Pause ertönte. Die Box-Bibel "The Ring" kürte den 1. Akt des Kampfes zur besten Runde der Boxgeschichte.
Die Fäuste flogen auch in den folgenden Runden. Hagler hatte das Stahlbad der ersten Runde besser überstanden, griff unerbittlich an und wechselte immer wieder seine Auslage. Hearns' lange Stelzen knickten ab der zweiten Runde dagegen immer wieder ein. Statt um Hagler herum zu tänzeln und aus der Distanz zu punkten, musste sich das boxende Klappergestell immer wieder dem direkten Schlagabtausch stellen.
In Runde drei unterbrach Ringrichter Richard Steele das Gefecht schließlich und schickte den nach wie vor aus der Stirn blutenden Hagler zum Ringarzt in die neutrale Ecke.
Vielleicht trieb Hagler die Sorge, das Schiedsgericht könne ihn wegen seiner klaffenden Wunde aus dem Kampf nehmen. Sekunden nach seiner "Sprechstunde" sprang der Weltmeister Hearns jedenfalls wie eine Bulldogge an und ballerte dem "Hitman" einen rechten Haken an die Schläfe.
Wie auf Rollschuhen schlitterte Hearns gegen die Ringseile, wo Hagler entscheidend nachsetzte. Ein rechter Cross explodierte am Kiefer des Herausforderers. Nach acht Minuten Nonstop-Action war das Faust-Gemetzel vorbei.
"Ich war der Champion, aber ich musste kämpfen wie ein Herausforderer. Ich musste einstecken, um austeilen zu können", fasste Hagler den Drei-Runder im Ring-Interview zusammen.
"The Fight" nannte das Duell hinterher übrigens keiner mehr. Hagler vs. Hearns firmiert seit 40 Jahren unter dem Titel "The War".